Kirbe in Blankenberg 16.10.2021
In den Großstädten merkt man von alten Traditionen heute kaum noch etwas. Selbst bekannte Feste wie Ostern oder Weihnachten sind längst kommerzialisiert und haben mit ihrer ursprünglichen Bedeutung nur noch wenig zu tun. In den kleinen Orten auf dem Lande werden Traditionen mancherorts noch gepflegt.
In Norddeutschland relativ unbekannt dürfte die „Kirchweih“ sein. Ursprünglich war das der Tag, an dem die örtliche Kirche geweiht worden war, und den man jedes Jahr als hohen kirchlichen Feiertag beging. Da die regionalen Gepflogenheiten in Europa sich stark unterscheiden, entstanden sehr unterschiedliche Namen und Gebräuche für diesen Tag, vielleicht am bekanntesten „Kirmes“. Dabei ist Kirmes nicht gleichzusetzen mit Jahrmarkt.
In Blankenberg am Rennsteig findet die Kirchweih im letzten Oktoberdrittel statt und wird „Kirbe“ genannt. Nachdem 2020 wegen „Corona“ und Lockdown praktisch sämtliche Veranstaltungen ausgefallen waren, konnte man 2021 endlich wieder feiern, wenn auch mit gewissen Einschränkungen. Für die Kirchweih gibt es hier eigens einen Verein, die Kirmesgemeinschaft Blankenberg. Gesprochen wird allgemein aber nur von „Kirbe“.
Wie gesagt, einen Jahrmarkt beeinhaltet das Fest hier nicht, wohl aber eine Feier, die wegen der Corona-Vorschriften verkürzt und in einem Zelt statt im Gemeindesaal stattfand. Von dem akribischen Check-In will ich gar nicht berichten.
Schon am Eingang spürte man die erleichterte und fröhliche Stimmung darüber, dass endlich mal wieder eine Veranstaltung stattfand. Vor Corona war immer viel los gewesen in diesem 1000-Einwohner-Ort. Etliche Vereine, hatten aktiv das soziale und kulturelle Leben gestaltet. Und das war lange Zeit alles komplett weggebrochen. Auch wenn der „Normalzustand“ noch weit entfernt lag, machte man das Beste daraus.
Die Kirbe hier in Blankenberg am Rennsteig geht traditionell über 3 Tage, also ein langes Wochenende. Corona hat alles durcheinandergebracht.
Gefeiert wird normalerweise im Gemeindesaal, aber wegen der Belüftungsvorschriften diesmal im Festzelt. Eine Party-Band macht Musik, und es ist keine alkoholfreie Veranstaltung. Wenn die Stimmung angeheizt ist, rennt die Kirbejugend in einer Reihe Hand-in-Hand auf die Tanzfläche, bildet einen Kreis. Und dann wird gesungen, was eher einen Sprechgesang oder Gegröhle hinauslaufen kann. Zum Repertoire gehören Volkslieder und spezielle regionale Lieder zur Kirbe.
Von diesen Auftritten gibt es über den Abend verteilt mehrere, und laute Rufe auch von den Zuschauern gehören dazu. Der Dunst auf dem Foto stammt übrigens nicht von Rauch.
Die Stimmung ist großartig, und da tanzt man auch schon mal auf den Bierbänken. Von oben hat man ohnehin den besseren Überblick.
Als Kirbe-Neuling hatte ich keine Ahnung, was ich anziehen sollte. Die Kirbe-Jugend war überwiegend schwarz gekleidet.
Die Jungen trugen Hüte mit roten Bändern, schwarze Jacketts, Vesten oder Jacken, ein weißes Hemd und einen roten Schlips, also ganz schick angezogen. Es gab einige Kirbe-Erste, die die Gruppe anleiteten und die mit einem Schlapphut, rot-weiß-kariertem Hemd, weißer Schürze und Lederhose ins Auge fielen.
Nach Mitternacht wurde dann die Kirbe zu Grabe getragen.
Das war ein richtiger Trauerzug mit Kreuz, Sarg und Gemeinde mit Kerzen.
… das heißt, was ich für einen Sarg gehalten hatte, war eine große Zinkwanne, in der ein ausgewählter der Kirbejugend lag. Man konnte die Reste aus seinen Getränken in die Wanne gießen, wovon dieses Jahr wohl wenig Gebrauch gemacht wurde. Ohnehin ziemlich eklige Sache.
Die Party war damit aber durchaus nicht zu Ende.
Nach einer kurzen Nachtruhe folgte das „Ständerle“. Man hatte mir gesagt, da ginge man von Haus zu Haus, spiele Musik und kriege irgendwas. Wie ich mir das vorstellen sollte, wusste ich nun überhaupt nicht.
Leute bauten in ihrem Garten oder auf dem Parkplatz ein paar Stühle und Tische auf.
In der Ferne hörte man Blasmusik. Und dann zogen Gruppen von Kirbe-Leuten mit Musikern durch den Ort. Wo Bewohner waren, spielten sie Musik, und in ihrem Bollerwagen hatten sie Getränke dabei.
Wenn man ihnen Schnaps, Bier oder was anderes anbot oder eine Spende gab, dann spielten, sangen und tanzten Volkslieder sie für die Zuschauer, bevor sie weiterzogen. Manche merkten vor Alkohol auch mal nicht, wenn sie mehrmals dieselbe Straße besuchten. Laut ertönten Rufe „Wer hat Kirbe?!?“
Ebenso laut antwortete man: „Wir ham Kirbe!“
Es war ein lockeres Vergnügen ohne Verpflichtung, und die Party ging dann bei den Nachbarn im Garten weiter. Das ist etwas, was man nur auf dem Dorf erleben kann. In der Großstadt ist es viel zu groß und anonym. Da kennt man oft nicht mal die Nachbarn von nebenan. Aber hier geht man noch auf einander zu. Das macht eine Dorfgemeinschaft aus.
Mit Musik macht es nochmal so viel Spaß, dachte sich auch Lutzi und spielte für ein begeistertes Publikum. Zur Kirbe kann man von Party zu Party gehen und ist überall willkommen.
Weiter unten im Ort war ebenfalls Party. In der Sackgasse wurde auf der Straße gefeiert, und die Blaskapelle hatte schon mächtig Stimmung gemacht.
Das Publikum sang oder tanzte auch gerne mal mit.
Lutzi („Ein Ossi mit Niveau“) heizte die Stimmung weiter an.
Manch einem setzte der Alkohol so zu, dass er sich gar nicht mehr einkriegte.
Ein Musiker machte einen Kniefall vor Lutzi und nannte ihn „Maschine“. Das hatten wir auch noch nie erlebt.
Als es dunkel wurde, ging es weiter im Licht von Scheinwerfern. „Zugabe!“, „Zugabe!!“, „Zugabe!!!!!“
Erst als die Finger steif wurden und die Füße kalt, war das Konzert zu Ende.
Danach stand natürlich noch der Abbau und das Verladen der Instrumente und Technik an.
Nächste Party erst in einem Jahr? NEIN!
16.10.2021