Gedanken zu "Baby-Hoheiten"
21.10.2023
Staßfurt hat jetzt das 1. Staßfurter Salzfeechen: 14 Jahre jung, süß, schüchtern und keine Ausnahme. Auch wenn es uns völlig verrückt vorkommt, so scheint das doch ein Trend zu sein.
Nach der Wende von 1989 wurden vielerorts Ehrenhoheiten und Symbolfiguren ins Leben gerufen oder wiedererweckt, deren grundlegendste Aufgabe darin besteht, Menschen einander näherzubringen und ihre Heimatregion und deren Produkte bekannt zu machen. Es bildete sich sogar die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Königinnen, die als Dachverband vieler Städte, Gemeinden, Firmen, Vereine, Organisationen die Hoheitenschaft bündelt und in diesem Jahr ihr zwanzigjähriges Bestehen feiert. Mit den Adelshäusern aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg hat das nichts zu tun, aber die Menschen lieben ein bisschen Glamour, und so sind Rosenköniginnen, Heideprinzessinnen, Kräuterfeen immer ein Augenschmaus und prima Werbe-Ikonen, die die Botschaft „Unsere Region ist schön, sie hat viel zu bieten“ transportieren, damit mehr Touristen den Weg dorthin finden, die Wirtschaft floriert, regionale Produkte gekauft werden und unsere Kultur Bestand haben kann.
Wir haben die Befürchtung, dass den Entscheider*innen/Juror*innen dies entfallen ist. Denn wie muss eine Werbeikone agieren, damit sie Wirkung erzielt? Sie muss vor allem präsent sein, d. h. so oft wie möglich öffentlich sichtbar und „greifbar“. Sie muss kompetent und selbstbewusst auftreten und ihre Sache (auch sprachlich überzeugend) präsentieren können. Schüchternheit ist da völlig unangebracht.
Bei den Hoheiten gibt es viele Orte, die jährlich oder alle zwei Jahre Prinz, Prinzessin/König*in/…, also ihre Werbefigur wechseln. Das scheint uns unter Marketinggesichtspunkten ein Fehler zu sein. Bei einem schnellen und häufigen „Hoheitenwechsel“ ist der Werbe-Effekt auch schnell dahin, ganz besonders, wenn es keine Übergangsphase gibt, wo Nachfolger*in von den Erfahrungen ihrer Vorgängerin oder seines Vorgängers lernen und die Strategie fortführen kann. Mancherorts gelingt der „Austausch“ aufgrund einer strengen Kostüm-/ Kleidervorgabe sowie einem starken Team im Hintergrund. Machen sich Organisator*innen darüber gar keine Gedanken?
In unserer heutigen Zeit wird schnell und viel von Diskriminierung gesprochen. Im Bereich der Hoheiten findet man überwiegend Frauen. Es gibt Prinzen, Könige, Ritter und andere männliche Symbolfiguren, aber sie sind in der Minderzahl. Manche Orte sind froh, wenn sie auch mal einen Mann für die Aufgabe begeistern können, wie unlängst den neuen Moorprinzen Franz in Bad Lobenstein. Eine echte Diskriminierung sehen wir hier nicht.
Anders bei den Ausschreibungen für Nachfolger*innen! Da liest man sehr oft: „bis 25 Jahre“ oder „18 bis 30 Jahre“. Der Führerschein steht noch vor den Auswahlkriterien „Kommunikatives Auftreten“ und „Kenntnisse zu Stadtgeschichte, berühmten Persönlichkeiten, regionalen Produkten“! Soll das Bewerber*innen vor allem zeigen, dass die Ausschreibenden ihre Hoheit weder chauffieren noch begleiten und schon gar nicht die (Fahrt-)Kosten übernehmen werden? Eine Altersbegrenzung nach oben in der Ausschreibung ist nicht nur altersdiskriminierend, sie begrenzt die Potentiale und (Aus-)Wahlmöglichkeiten völlig unnötig. Der entscheidende Faktor ist nicht die Jugend. Es sind Charisma, Ausstrahlung, Selbstbewusstsein, Erfahrung, „gutes Benehmen“, diplomatisches Geschick, Auf-die-Menschen-zugehen…
Wer über den Sinn des Hoheiten-Ehrenamtes nachdenkt, kommt u. E. zwangsläufig zu dem Schluss, dass man Persönlichkeiten braucht, nicht Kinder oder Marionetten, dass nur die geeignet sind, die sich sachkundig bewerben und voll hinter der Sache stehen, auch wenn es manchmal etwas unbequem sein mag, wenn sie Änderungen einbringen und Neuerungen schaffen wollen. Wenige der sehr jungen Leute haben die notwendige Persönlichkeit, Zeit, Zuverlässigkeit und Ausdauer für das Ehrenamt. Wer kann schon so viel Zeit aufbringen, um die nicht wenigen Termine wahrzunehmen, wenn er gleichzeitig zur Schule geht, Prüfungen macht, in der Ausbildung oder im Studium ist oder z. B. durch Schichtarbeit nur selten ein freies Wochenende hat? Wer stellt gerne seinen Freund/ seine Freundin oder Lebenspartner*in hintenan, weil den ganzen Sommer über ein Stadtfest auf das andere in z. T. weit entfernten Orten folgt? Und: je jünger die Hoheit, umso größer Coaching- und Betreuungsaufwand!
Ehrenhoheiten investieren neben viel Zeit zumeist auch viel Geld ins Ehrenamt. Das können sich Schüler*innen und Berufsanfänger*innen oft nicht leisten. Die Ausschreibung sollte daher u. E. nicht nur die Wünsche der Stadt/Gemeinde, des Vereins, … umfassen, sondern fairerweise auch Auskunft geben über materielle und immaterielle Ausstattung/ Unterstützung, die „Hoheit“ dann bekommt. Da stellt sich auch die Frage: Kann und will sich Stadt, Gemeinde, Verein, … ihre/seine Hoheit leisten?
Wir wünschen allen Juror*innen Weitblick und Weisheit in Ihren Entscheidungen.
Charlene Wolff, Königin der Texte charlene@koenigin-charlene.de
Claudia Berner, Buckower Kräuterfee buckower-kraeuterfee@web.de
21.10.2023