In Esperstedt bei der Riedprinzessin
Fest der Vereine
04.08.2018
Esperstedt hatte einst einen großen Flughafen mit allem, was dazu gehört. Er erstreckte sich zwischen dem Ort und Oldisleben. Beide Orte liegen im Kyffhäuser Kreis, also in Thüringen. Der Flugplatz war so gut getarnt, dass er aus der Luft von den Alliierten Bombern nicht erkannt werden konnte. Aber zum Ende des Krieges wurde er dennoch zerstört.
Heute ist davon schon lange nichts mehr zu sehen. Esperstedt liegt bei Bad Frankenhausen und ist bekannt durch sein Ried. Das ist eine Naturlandschaft mit Salzwiesen, in der seltene Pflanzen und Tiere ihre Heimat haben, die es andernorts nicht oder kaum mehr gibt.
Der Sommer 2018 war sehr heiß und extrem trocken. Überall gab es Wald- und Flurbrände. Die Felder mussten vorzeitig abgeerntet werden und gaben 40% weniger Ertrag. Ein großes Problem für die Landwirtschaft. Fuhr man durch Deutschland, sah man überall gelbe Felder und Bäume, die schon Anfang August nach Herbst aussahen und Blätter verloren. Nur das Esperstedter Ried war grün. Wie kommt das?
In Bad Frankenhausen und Umgebung gibt es salzhaltige Quellen. Zum einen wurde dieses für die Bewässerung nicht geeignete Wasser über Kanäle und kleine Schleusen abgeleitet, zum anderen liegt das Ried im Überschwemmungsgebiet der Unstrut. Tritt der Fluss Unstrut bei Hochwasser über die Ufer, stehen hier die Wiesen unter Wasser. Und so gedeihen hier auch bei so extremer Trockenheit grüne Pflanzen, die an das Salzwasser angepasst sind.
Wie komme ich nun ausgerechnet in diese Gegend, die in Hamburg nicht bekannt und eher unbedeutend ist? Es war die Einladung der Riedprinzessin Doreen, die mich in diesen Ort geführt hat. Ihre Amtszeit würde nach 2 Jahren enden, und da ich sie schon oft getroffen hatte, lud sie mich zu ihrem Fest ein.
Die Veranstaltung nannte sich "Das Fest der Vereine". In solchen ländlichen Orten läuft das Leben etwas anders als in unserer Großstadt. Da gibt es keine quirlige Innenstadt, in der es jede Menge Musical, Bühnen, Theater, Museen, Gaststätten und Parties gibt. Nicht mal ein TextLabor Bergedorf gibt es dort. Und oft haben der letzte Laden und die letzte Kneipe vor Jahren zugemacht, so dass die Leute zum Einkaufen oder zum Arzt bis in die nächst größere Stadt fahren müssen. Bei unserer alternden Bevölkerung ein wachsendes Problem.
Deshalb sind gerade dort Vereine eine wichtige soziale Errungenschaft, wo man Kontakte pflegen und Geselligkeit haben kann. Meist gibt es den Karnevalsverein, der in den meisten Gegenden eine wichtige Rolle spielt und auch eine Tanzgruppe hat. Daneben findet man Sportvereine, Schützenvereine und je nach Ort und den Interessen der Aktiven verschiedene andere Gemeinschaften Gleichgesinnter. So ist es keine Seltenheit, dass für bzw. von den Vereinen Feste auf die Beine gestellt werden. Und zu diesen Festen lädt man vielerorts auch Gäste von auswärts ein, die dem Ganzen ein bisschen mehr Glamour und überregionales Flair verleiht.
Ich bin die Königin der Texte aus Hamburg-Bergedorf. Aber irgendwie hat es sich gefügt, dass ich zu den Thüringer Hoheiten und Symbolfiguren ebenso gehöre wie zu denen aus Sachsen-Anhalt und aus Sachsen. Dabei bin ich eine echte Hamburger Deern, in der Hansestadt geboren und immer hier gelebt. Ich habe in meiner bereits fünfjährigen Amtszeit viele Hoheiten kennengelernt. Ein großer Teil davon übt seiner Funktion nur ein oder zwei Jahre aus, und so habe ich gleich mehrere Generationen in ihren Amtszeiten begleitet. Dadurch haben sich viele Kontakte und Freundschaften ergeben, die auch nach fünf Jahren immer noch anwachsen.
Dieses Jahr habe ich wieder Einladungen aus Orten bekommen, in denen ich noch nie zuvor gewesen bin. Leider musste ich auch mehr Einladungen ausschlagen als je zuvor, einfach weil es zeitlich nicht alles machbar war. Das bedauere ich sehr, denn ich lerne immer noch gerne neue Menschen, Gegenden und Dinge kennen.
Doreen gab ihre Krone weiter an Isabelle. Das war eine sehr emotionale Zeremonie im Beisein sehr vieler Gasthoheiten von nah und fern. Ich als Königin der Texte hatte die längste Anreise gehabt. Aber wenn man nun denkt, die Hoheiten aus Thüringen würden nebenan leben, dann hat man falsche Vorstellungen von der Größe dieses Bundeslandes. Von Südthüringen nach Esperstedt sind es auch schon zweihundert Kilometer! Man unterschätzt das leicht.
Treffpunkt war im Gemeindehaus. Von dort ging es zu Fuß zum Festplatz. Zwei Trecker mit offenen Wagen warteten auf uns, und es war schön anzuschauen. Wir wurden durch das Ried gefahren und erhielten Unterricht von einem Lehrer, der sich sehr gut auskannte. Am Weg wuchsen grüne Pflanzen (was ich erwähnen muss, weil es sonst vielerorts trocken und verdorrt war). Auf den Salzwiesen sahen wir Kormorane und Störche. Es waren 33°C. Da ist man nicht sehr leistungsfähig, und wir waren sehr froh über das kalte Sprudelwasser, das wir bekamen. Eine schöne Ausfahrt.
Zurück am Festplatz fand die Krönungszeremonie auf der Bühne im Zelt statt. Eine rührselige Angelegenheit, da die Hoheiten durch die vielen Treffen eine Art Familie sind, die mitfühlt, wenn eine von ihnen abtreten muss. Doreen studiert in Erfurt und kann nicht mehr so oft als Riedprinzessin unterwegs sein. So geht es vielen in der "königlichen Familie".
Nachfolger zu finden, ist oft eine schwierige Sache. Viele stellen es sich auch so einfach vor; einmal Königin oder Prinzessin sein, schöne Kleider Tragen und eine Krone. Aber das ist ja nicht alles. Die ganze Saison über von Mai bis Oktober sind sie fast jedes Wochenende unterwegs, treten auf vor vielen Leuten, sollen denen etwas erzählen und kriegen oft nicht mal ihre Fahrkosten bezahlt. Königin zu sein ist ein Ehrenamt. Einige wenige haben Sponsoren oder Gemeinden, die die Ausgaben finanzieren. Geld verdienen kann man normalerweise nicht als Ehrenhoheit. Man investiert sehr viel eigene Zeit und Kraft, und das ist vielen, zu anstrengend. Also wollen sie lieber doch keine Königin oder Prinzessin werden.
Andererseits ist ein solches Amt eine große Chance, zu wachsen, Selbstsicherheit zu gewinnen, frei reden zu lernen, viele Kontakte knüpfen zu können und Orte und Menschen kennenzulernen, wie es sonst nicht möglich wäre.
Nicht selten gibt eine Hoheit ihr Amt weiter, weil sie schwanger wird oder in einer anderen Stadt arbeiten oder studieren wird. Manche haben auch die Kontakte geknüpft, die ihr späteres Berufsleben bestimmen werden.
Ich warte ja noch auf diesen Schub. Als Königin mit meinem Bekanntheitsgrad, Authentizität und meinem unglaublichen Wiedererkennungswert ist es verwunderlich, dass sich noch keine Firma gefunden hat, die mich als ihre Werbeikone sponsert oder einstellt und keiner, der in mein Leben treten will, aber vielleicht hat ja schon jemand ein Auge auf mich geworfen und traut sich nur noch nicht so ganz…